Vom Arbeitstier Telefon
Wie lange verwendest du eigentlich bereits dein aktuelles Smartphone – ein Jahr? Zwei? Dann gehörst du zu jenen 82 Prozent der Befragten einer Bitkom-Umfrage unter deutschen Handynutzern, die sich ihr neuestes Gerät in den letzten 24 Monaten zugelegt haben.
Nun stell dir vor, dein Smartphone – ständig verfügbares Kommunikationsarsenal, unermüdlicher Verwalter von E-Mails und Passwörtern, schier unendlicher Vorrat unbegreiflich vielseitiger Werkzeuge, tröstender Zufluchtsort und digitales Zuhause, verlässlicher Herr über alle Erinnerungen und ganze Freundschaften, zusammenfassend: treuer Wegbegleiter – würde nicht nur ein kurzes, reizüberflutetes und reizüberflutendes Dasein weniger, bemitleidenswerter Jahre fristen, sondern ein ganzes Jahrzehnt elektrisierenden Gebrauchs währen!
Zu futuristisch, um Realität zu werden? Ohne umfängliche Freiheit der Software wird sich das auch niemals ändern!
Was ist freie Software?
Die kurze Antwort: Softwarefreiheit setzt sich zum Ziel, jedermann das Recht zu verleihen, Computerprogramme nach Belieben auszuführen, zu studieren, zu verändern und weiterzuverbreiten, auch inklusive eigener Bearbeitungen.
Es geht, plump gesprochen, um die trickreiche Untergrabung des traditionellen Urheberrechts zugunsten gesellschaftlichen Fortschritts. Ein Kernelement im Repertoire von Idealisten wie den Vorreitern der Free Software Foundation ist nämlich das sogenannte Copyleft: Dieses Prinzip erlaubt nicht nur Endanwendern die uneingeschränkte Benutzung, sondern ermöglicht auch anderen Entwicklern, auf Basis des Quellcodes eigene Programme zu veröffentlichen – unter der (zwingenden!) Bedingung, dass die so gewährte Softwarefreiheit weitergereicht wird.
Das Kalkül hinter Überlegungen wie diesen ist denkbar simpel: Muss man als Programmierer vor der Verwendung fremden Quellcodes dessen Urheber erst bittstellerisch um Erlaubnis ersuchen, so behindert dies die Entwicklung neuartiger Technik in kaum trefflich in Worte zu fassender Weise. Der fast maßgeschneiderte Hashtag hierzu lautet ohne jeden Zweifel: #technologieoffenheit, Herr Digitalminister.
Was Softwarefreiheit mit Uralt-Smartphones zu tun hat
Um auf das eingangs angerissene Beispiel zurückzukommen: Die softwareseitige Achillesferse des heutigen Smartphonemarktes besteht darin, dass sich bis auf eine Handvoll wenig rentabler Ausnahmen kaum ein Hersteller dazu genötigt sieht, seine Produkte länger als zwei bis drei Jahre mit Aktualisierungen zu versorgen. Jedes neu herausgebrachte Handymodell erfordert zusätzlichen Aufwand, dessen Hardwareanforderungen auch mit den neuesten Funktionen des hauseigenen Betriebssystems und/oder UI-Ökosystems zu erfüllen. Muss die neue Android-Version für zwölf Uraltgeräte aufbereitet werden, rollen nicht nur die Entwickler mit den Augen, sondern dann dreht auch das am Dollar-Augen-Syndrom leidende Management schier am digitalen Rad (auf welches sie mögen gefesselt werden, mag mancher Zyniker grollen).
Der Mehraufwand ist so kostspielig wie zeitaufwendig, dass viele Unternehmen schlicht und ergreifend beschließen, sämtliche Geräte nach Eintritt ins diktierte Rentenalter zwangsweise zu Elektroschrott umzufunktionieren. Asus beispielsweise ging beim Herausbringen von Updates wiederholt derart schlampig vor, dass selbst fundamentale Funktionen vor „Bugs“ nur so strotzten und sogar mehrmaliges Neustarten nur unter Anrufung des Milleartifex zum Erfolg führte. Die berühmt-berüchtigten Wärter jenes güldenen Käfigs mit den weltweit wohl meisten Insassen – sie mag räumliche Nähe zwar nicht einen, ein angebissener Apfel ziert allerdings jedes ihrer Geräte – verlangsamt ältere Hardware skrupelloserweise gar vorsätzlich.
Gemein ist allen Smartphone-Fertigern, dass sie herkömmliches Urheberrecht dazu missbrauchen, die Langlebigkeit ihrer Produkte aktiv zu verunmöglichen. Würden alle Komponenten der Betriebssysteme veröffentlicht und frei lizenziert, so wäre es Freiwilligen mit entsprechenden Fertigkeiten möglich, nahezu nahtlos an den künstlichen Gerätetod anschließend eigene, inoffizielle Aktualisierungen zu entwickeln, sodass der durchschnittliche Endanwender sein hardwareseitig weiterhin geeignetes Telefon noch einige Jahre weiterbenutzen könnte.
Custom-ROMs – reale Utopie einer mündigen Digitalgesellschaft?
Den besten Beweis für die Funktionalität dieses keineswegs rein hypothetischen Modells liefern die Uneingeweihten beinahe verschlossenen Welten der Android-„Ableger“. In den schier unendlichen Weiten jenseits der unsichtbaren Grenze, welche das Universum der Benutzer von jenem der Programmierer trennt, existieren zahlreiche Smartphone-Betriebssysteme, die den „AOSP“ (Android Open Source Project ) genannten quelloffenen, freien Teil des weit verbreiteten Android-Operating-Systems um eigene Komponenten erweitern.
Als prominentere Vertreter sind insbesondere zu nennen: Lineage , das ohne viel überflüssigen Schnickschnack auskommt und als Fundament einiger anderer Systeme dient; Murenas /e/OS , das die Privatsphäre seiner Nutzer besonders gut zu schützen verspricht; GrapheneOS , das seine herausragende Sicherheit anpreist; VollaOS , das durch sein außergewöhnliches Design besticht.
Der geneigte Leser dürfte nun fragen: Warum hat kaum jemand von diesen Systemen je gehört? Die Antwort ist vielschichtig, aber im Kern besteht das Problem darin, dass es teils unnötig kompliziert ist, alternative Betriebssysteme nachträglich auf Handys zu installieren, oder dass die Installation vom Hersteller gleich ganz unterbunden wird. Zugeben müssen „Custom-ROM“-Enthusiasten allerdings ebenso, dass Design und Funktionalität der Systeme hier und da nicht den heutzutage höchst erlesenen Ansprüchen der hochwohlgeborenen Nutzerschaft gerecht werden können. Darum hat diese Freizeitbeschäftigung bisher fast ausschließlich Technikversierte in ihren Bann gezogen, kaum jedoch Otto Normal.
Der Absatzüberschrift gerecht werdend, muss die Gemeinsamkeit all dieser Systeme mit besonders dickem Textmarker in kräftigstem Neongelb hervorgehoben werden: Sie alle hauchen selbst den Methusalems unter den digitalen Endgeräten neues Leben ein. So ist es dank LineageOS beispielsweise problemlos möglich, Android 11 auf jedem Galaxy S5 zu installieren – jenem Smartphone, für welches Hersteller Samsung einst Android 6 als Grabstein erwählte und das nun gewissermaßen auf zombieartige Manier ins Reich der Lebenden zurückkehren kann.
Dies sorgt nicht einfach bloß dafür, dass in den Systemeinstellungen eine größere natürliche Zahl als Versionsnummer angegeben wird: Stellte man sich das Handy als greise ehemalige Assistenzkraft vor, so wäre ein derartiges Upgrade vielmehr mit einem Schluck aus dem Heiligen Gral vergleichbar (also so etwas wie einem „Ladezyklus aus der gesegneten Powerbank“?); und was das verheißt, vermag ein jeder Indiana-Jones-Liebhaber wohl bestens einzuschätzen. Der Benutzer müsste nicht mehr auf modernere Apps verzichten, die eine aktuelle Android-Version voraussetzen, er würde zudem von aktualisierten Funktionen profitieren (ganz besonders hinsichtlich Privatsphäre, App-Berechtigungen und „digitalem Wohlbefinden“) und wäre dank der zwischenzeitlichen Sicherheitsaktualisierungen erheblich besser vor Übergriffen durch übelmeinende Binärgangster geschützt, die sich hin und wieder unbeabsichtigter Einfallstore bedienen, um ihren Opfern beispielsweise Erpressungssoftware unterzujubeln.
Entscheidend ist Folgendes: Vielfach ist die Portierung von Android-Ablegern auf alte Geräte Freiwilligen zu verdanken, die oftmals große Teile ihrer Freizeit der Tätigkeit als sogenannte Maintainer widmen. Stünden die Kernbestandteile von Android nicht unter einer freien Lizenz, so wäre die Arbeit der Hobby-Entwickler ganz und gar unmöglich. Weil Komponenten wie die Google-Play-, Huawei- oder Samsung-Dienste im Gegensatz dazu nicht frei lizenziert sind, können die originalen Androidvarianten der Hersteller nicht über das digitale Ableben von Smartphonemodellen hinaus weiter instand gehalten werden.
Dass die allermeisten Handys nach wenigen Jahren kaum noch sinnvoll zu gebrauchen sind, hat unsere in dieser Hinsicht leider eindeutig mangelhaft aufgeklärte Gesellschaft somit den fast ausschließlich überwachungskapitalistisch gesinnten Smartphone-Firmen, ihren gemeinschädlichen Absichten und dem mittelalterlichen Urheberrecht, dem sich ein jeder Programmierer ausgesetzt sieht, zu verdanken.
Das müssen wir von Wirtschaft und Politik erwarten können
Wie also lässt sich das Problem des softwarebedingten Ablebens von Telefonen möglichst unkompliziert lösen? Langfristig hilft nur eines: Hinfort mit dem tradierten Urheberrecht!
Nun, diese Forderung ist bewusst etwas scharf formuliert. Visionäre Netzpolitik sollte natürlich keinesfalls darauf abzielen, Musiker und Sänger, Zeichner und Maler, Fotografen und Schriftsteller an der Verwertung ihrer künstlerischen Schöpfungen zu hindern, schließlich ist ihre Kreativität offenkundig ihr größtes Kapital. Vielmehr muss das Tabu fallen, verbal am Urheberrecht im Softwarebereich zu rütteln. Welcher Wandel sollte sich also vollziehen?
Zum Lesen muss man ja auch nicht fragen
Erstens muss schleunigst der Irrsinn ein Ende finden, dass das reine Herunterladen, Installieren und Ausführen von Computerprogrammen bereits eine urheberrechtsrelevante Handlung darstellt und des Einverständnisses des Urhebers bedarf. Das ist ungefähr so, wie wenn man die Erlaubnis des Autors brauchte, um dessen Buch auf einem Flohmarkt zu erwerben. Oder als müsste man einen Musiker erst fragen, um seine neueste Vinylplatte ins Regal stellen zu dürfen. Oder als könnte der Fotograf jeden abmahnen, der es wagte, eigenmächtig dessen Fotografien anzusehen.
Stattdessen sollte ausschließlich das Weiterverbreiten von Apps bzw. Quellcode zustimmungsbedürftig sein. Dass die aktuelle Regelung bereits auf reine „Vervielfältigungen“ abzielt, also schon das pure Abspeichern digitaler Inhalte, ist nicht nur alles andere als zeitgemäß, sondern schlichtweg nicht zielführend und überdies in den allermeisten Fällen ohnehin gar nicht erst nachweisbar.
Nicht alles, was kompiliert, ist Gold
Zweitens muss die Schöpfungshöhe, ab der Software urheberrechtlich geschützt ist, drastisch angehoben werden. Es dürfte wohl kaum einem nicht absurd vorkommen, dass jedes Programm nicht völlig trivialen Umfangs denselben Schutz genießt wie Gemälde, Romane oder Musikalben, selbst wenn es rein zweckmäßig niedergeschrieben und auf die pure Funktionalität beschränkt ist.
Wer nun erbost erwidert, Softwareentwicklung erfordere im Vergleich zu anderen Disziplinen besonders großen Aufwand, sollte sich fragen: Welches Gut ist es, das herkömmliches Urheberrecht zu schützen versucht? Ginge es tatsächlich um den Herstellungsaufwand, dann müsste ebenso jede hinreichend große weiß gestrichene Wand schutzfähig sein, schließlich ist es alles andere als ein Klacks, kiloweise Farbe umherzuschleppen, wieder und wieder die Leiter Stufe um Stufe in schwindelerregende Höhe zu erklimmen, mit ausgestreckten Armen auch in den letzten Winkel hineinzureichen und bei alledem objektiven und subjektiven Qualitätsanforderungen zu genügen.
Nein, Aufwand und Kosten stellen für sich genommen mitnichten geeignete Kriterien zur Quantifizierung von Kreativität dar. Das Landgericht Berlin urteilte einst:
Vielmehr geht es um tatsächlich kreative Leistung, um Originalität und Individualität. Entsprechend sollte der besondere Schutz, der üblichen Werken gewährt wird, nur solcher Software zugute kommen, die nicht nur funktional ist, sondern auch kreative Alleinstellungsmerkmale aufweist und deren Wirkung für ihre Anwender einen nicht zu vernachlässigenden Mehrwert darstellt. Dies ist wohlgemerkt nicht mit dem rein Äußerlichen eines Programms zu verwechseln, also seiner grafischen Benutzeroberfläche, bestehend aus Buttons, Links, Icons und Illustrationen; selbstverständlich können auch besonders originelle Softwarebibliotheken, die zur Verwendung durch andere Programmierer bestimmt sind, berechtigte urheberrechtliche Schutzansprüche haben.
Freie Firmware für freie Bürger
Drittens sollte es die Pflicht einer jeden Elektronikfirma sein, den Quellcode ihrer Firmware in geeignetem Umfang öffentlich zugänglich zu machen, dass die Liquidität des Herstellers keine notwendige Voraussetzung für die ordnungsgemäße Verwendung eines Produkts darstellt. Eines von vielen Negativbeispielen ist hierfür der Fahrradproduzent VanMoof, dessen bereits verkaufte E-Bikes nach der Insolvenz nicht mehr voll funktionstüchtig waren. So erforderte unter anderem das Ein- und Ausschalten der Beleuchtung einen kryptographischen Schlüssel, der über eine Bluetooth-Verbindung mit der zugehörigen App von einem herstellereigenen Server herunterzuladen war. Ohne Firma jedoch kein Server, ohne Server kein digitaler Schlüssel – und ohne den kein Licht am Fahrrad. Derartigen Realsatiren muss schnellstmöglich Einhalt geboten werden! (Dies hätte, ganz nebenbei bemerkt, den nicht zu unterschätzenden Effekt, dass Kryptanalytiker und IT-Experten ihren geschulten Blick auf weitaus mehr Gerätesoftware als bisher werfen könnten, um die Einhaltung von Sicherheits- und Datenschutzvorschriften penibel und vor allem unabhängig nachzuprüfen – im Sinne eines „Programmier-TÜVs“.)
Fazit
Softwarefreiheit heißt, konträr zum tradierten Urheberrecht den Anwendern essenzielle Rechte einzuräumen, die ihnen das Ausführen, Studieren, Verändern und Weiterverbreiten von Computerprogrammen ermöglichen. Das fördert nicht nur maßgeblich die Langlebigkeit von Software, sondern kann – im großen Maßstab vollzogen – unsere Digitalgesellschaft in ein neues Zeitalter allgemeiner technologischer Kooperation anstelle des heutigen, elendigen Konkurrenzkampfes katapultieren. Streift endlich die geistigen Fesseln des Copyright-Autoritarismus ab und schließt euch der hellen Seite an – der Seite von Offenheit, Gleichberechtigung und Gemeinnutzen!